THEOLOGIE VON A BIS Z
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Die Einheit von Altem und Neuem Testament
Johannes Calvin als Prediger, Kommentator der Bibel, Ausleger der Heiligen Schrift
1. Der Prediger und Kommentator
2. Die Schrift als Offenbarung Gottes
3. Formen der Schriftauslegung Calvins
1. Der Prediger und Kommentator
Calvin (1509-1564), der neben dem Zürcher Heinrich Bullinger (1504-1576) kirchenpolitisch wie theologisch der einflussreichste Repräsentant des Protestantismus reformierter Prägung im 16. Jahrhundert war, hat sich, nachdem er Frankreich 1535 wegen seiner Wende zum Protestantismus verlassen musste, intensiv mit der Bibel befasst. Dabei bemühte sich der studierte Jurist intensiv um die Auslegung und Kommentierung ihm wichtiger biblischer Texte. Denn die Theologie, so Calvin, könne nur dann angemessen im Dienste Gottes und seines Volkes stehen, wenn sie auch erkennt, dass ihr tragendes Fundament die Schriftauslegung zu sein hat. Von der Gültigkeit dieser Einsicht war Calvin fest überzeugt. „Niemand“, so betonte Calvin, „kommt auch nur zum geringsten Verständnis rechter Lehre von Gott, wenn er nicht zuvor ein Schüler der Heiligen Schrift wird“ (Institutio I, 6, 2). Das Ringen um die Erkenntnis Gottes bestand für Calvin daher in einer intensiven Auseinandersetzung mit den biblischen Texten.
So konstatierte Theodor Beza (1519-1605), der Schüler und Nachfolger Calvins, zutreffend: „Zu dem, dass Calvin jede zweite Woche täglich predigte, hat er sehr oft und soweit es ihm nur möglich war, jeden Sonntag zwei Predigten gehalten. Dreimal wöchentlich hielt er Vorlesungen über Theologie, er leitete die Untersuchungen im Konsistorium und gab jeden Freitag nahezu eine vollständige Vorlesung in der Bibelversammlung, die wir Kongregation nennen, und hat diese Lebensweise solcherart ohne Unterbrechung bis zu seinem Tode fortgeführt, dass er niemals auch nur ein einziges Mal gefehlt hat außer in Zeiten schwerster Erkrankung“ (Opera 21, 33).
Die exegetischen Studien stellten also einen zentralen Arbeitsschwerpunkt im Schaffen des gelernten Juristen Calvin dar. In seinen langen Genfer Jahren (1536-38; 1541-1564) wie auch während der kürzeren Straßburger Zeit (1538-1541) predigte Calvin regelmäßig seiner Gemeinde und verfasste darüber hinaus zahlreiche Kommentare zu den biblischen Büchern des Alten und Neuen Testamentes. Die Werkausgabe seiner gedruckt vorliegenden biblischen Predigten, die Calvini Opera, enthalten 872 Ansprachen – weitere 680 nur in Manuskriptform überlieferte Predigten werden in den Supplementa Calviniana erfasst.
Breit schöpfte Calvin in seiner exegetisch-homiletischen Arbeit aus dem Fundus biblischer Schriften. Allein für den Zeitraum von 1549 bis 1563 legte Calvin eine beeindruckende Anzahl von Sermonen vor. Er entwarf 25 Sermone über Jeremia (1549), 28 über Micha (1550/51), 47 über Daniel (1552), 22 über Psalm 119 (1553), 159 über Hiob (1554/55), 54 über den 1. Timotheusbrief (1554/55), 30 über den 2. Timotheusbrief (1555), 17 über den Titusbrief (1555), 200 über das Deuteronomium (1555/56), 19 über den 1. Korintherbrief (1556), 66 über Jesaja (1557), 4 über den Lobgesang des Hiskia (1557), 43 über den Galaterbrief (1557-1558), 7 über Jesaja (1558), 48 über den Epheserbrief (1558/59), 65 über die Evangelienharmonie (1559/60), 97 über das Buch Genesis (1559/60), 3 über den königlichen Priester Melchisedek (1560), 4 über die Rechtfertigung (1560), 3 über das Opfer Abrahams (1560), 13 über die willkürliche Erwählung durch Gott und die Verwerfung Esaus (1560) sowie 194 Sermone über die beiden Bücher Samuelis (1561/63) (Cottret, 487f.).
Der Kanon biblischer Schriften wird in den Kommentaren Calvins ebenfalls umfassend abgedeckt. Von den alttestamentlichen Texten kommentierte Calvin unter anderem den Pentateuch, hier insbesondere Genesis und Deuteronomium, dann Josua, die Psalmen, Jesaja, die Klagelieder Jesajas, Ezechiel, Daniel sowie die kleinen Propheten. Die Schriften des Neuen Testamentes kommentierte Calvin mit Ausnahme der Johannes-Briefe und der Johannesapokalypse nahezu vollständig.
2. Die Schrift als Offenbarung Gottes
In der letzen Ausgabe des berühmten calvinischen Lehrbuchs, der „Institutio Christianae Religiones“ – ein Werk, welches in den Jahren 1536 bis 1559 von Calvin regelmäßig überarbeitet wurde, dabei grundlegende Änderungen und Erweiterungen erfuhr und in der letzten Fassung die theologische Grundlegung des internationalen Calvinismus entscheidend prägte –, wird die Bedeutung der Bibel für die Kirchen und ihre Gläubigen in Institutio I, 6-9, die Einheit der Schrift hingegen in Institutio II, 9-11, erörtert.
Welche Sicht auf die Bibel entwarf Calvin in seiner Institutio? Calvin ließ keinen Zweifel daran, dass er dem Alten wie dem Neuen Testament gleichermaßen eine überragende Funktion zusprach. Denn die Schrift in ihrer Gesamtheit offenbare ihren Lesern den Willen Gottes (Institutio I, 6). Doch was die Leser in der Schrift explizit zu suchen und zu welchem genauen Zweck und Nutzen diese Leser biblische Schriftaussagen zu verwenden haben – dies ihnen in theologischer Perspektive zu erläutern, darum hatte Calvin seine „Institutio“ verfasst.
Calvin betonte in seinen Ausführungen eine für ihn zentrale theologische Einsicht regelmäßig – das Ziel einer jeden Auseinandersetzung mit der Bibel läge letztlich darin, Jesus Christus zu erkennen. Für Calvin stand fest: Das Bestreben eines jeden Bibellesers wie auch jeden Predigthörers habe die Christuserkenntnis zu sein. Christus stelle damit das Ziel allen Forschens in der Schrift dar. Denn Jesus Christus sei nach Überzeugung Calvins das inhaltliche Zentrum der gesamten Schrift, die in ihrer Gesamtheit diese Offenbarung Gottes in Jesus Christus stets aufs Neue bezeuge. „Die Heiligen vergangener Zeiten haben Gott nie anders erkannt, als indem sie ihn im Sohn wie in einem Spiegel anschauten. Wenn ich das sage, so verstehe ich das so: Gott hat sich den Menschen allein durch seinen Sohn, d.h., durch seine einzige Wahrheit, Weisheit und Licht, offenbart. Aus dieser Quelle haben Adam, Noah, Abraham, Isaak und Jakob alles geschöpft, was sie an geistlicher Erkenntnis besaßen. Aus derselben Quelle haben auch die Propheten alles genommen, was sie gelehrt oder geschrieben haben.“ (Institutio IV, 8,5).
Wenn Christus sich also in seinem lebendigen Wort zu erkennen gibt, woran Calvin keinerlei Zweifel hegte, so stellte sich allerdings für reformatorische Theologen an diesem Punkt eine drängende Frage in den Vordergrund – nämlich das Problem nach der Autorität wie der Inspiration einer biblischen Offenbarung. Diese Frage beschäftigte Calvin sehr, da doch das Trienter Konzil auf dieses Problem durch seine Betonung einer kirchlichen Lehrautorität eine profilierte Antwort gegeben hatte.
Wie glaubte Calvin, diese Frage lösen zu können? Calvin betonte jetzt, in Abgrenzung zu den römisch-katholischen Theologen mit ihrer Bekräftigung von Lehramt und Tradition, die Bedeutung des Heiligen Geistes. Das Wirken des Heiligen Geistes habe hinzuzutreten, damit die Leser die Schrift als gültige göttliche Offenbarung in Jesus Christus erkennen können (Institutio I, 7,4). Calvin hielt pointiert fest: Der Geist habe die Verfasser der biblischen Schriften inspiriert, zugleich inspiriere er die Leser in ihrer Bibellektüre zur tiefen Einsicht von Gottes Offenbarung.
Damit führte Calvin ein weiteres Kriterium ein – das des „inneren Zeugnisses“ des Heiligen Geistes. Mit Berufung auf dieses „innere Zeugnis“ des Heiligen Geistes betrachtete Calvin die Frage nach der Schriftautorität denn auch als beantwortet. Die Schriftautorität sei mit dem „inneren Zeugnis“ des Heiligen Geistes klar begründet. Deshalb konnte er in der konfessionellen Auseinandersetzung mit der römisch-katholischen Theologie entschieden und in aller Schärfe eine rein „äußere“, auf die Tradition und das Lehramt der Kirche gestützte, Schriftautorität ablehnen (Institutio I, 7,1).
Doch auch unter Berufung auf das innere Zeugnis der Schrift gelang es ihm, noch eine weitere Grenzziehung vorzunehmen, die auch kirchenpolitisch von Bedeutung war. Denn seit dem Ende der zwanziger, verstärkt wieder seit Mitte der vierziger Jahre, standen reformierte Theologen bei zahlreichen Altgläubigen wie Lutheranern gleichermaßen unter dem Verdacht, „Schwärmer“ und „Spiritualisten“ und damit nach damaliger Überzeugung „Ketzer“ zu sein.
Diesem Vorwurf suchte Calvin dadurch zu begegnen, indem er sich mit seiner Position inhaltlich auch gegenüber „Schwärmern“ und „Spiritualisten“ deutlich abgrenzte. Denn diese „Schwärmer“ räumten nach Calvins Ansicht der Schrift gegenüber dem Heiligen Geist generell nur eine zweitklassige Offenbarungsqualität ein (Institutio I, 9,1). Es war ein für den Genfer völlig absurder Gedanke, dass der Heilige Geist der Schrift übergeordnet werden könne. Vielmehr wirke, so Calvin, der Heilige Geist bei den Gläubigen in der Schrift auf genau dieselbe Weise, wie er bei ihnen auch in den Sakramenten handele. Nicht mehr und nicht weniger. Mit anderen Worten: Es existierte für Calvin keine die Schrift überbietende Offenbarung.
Der knappe Blick auf die in seinen Kommentaren und Predigten behandelten Schriften zeigt, dass sich Calvin der Texte des Alten wie des Neuen Testamentes gleichermaßen angenommen hat. Calvin übernahm von Heinrich Bullinger, dem Zürcher Nachfolger Huldrych Zwinglis, die Überzeugung eines Gnadenbundes zwischen Gott und seinem Volk. Mit dieser Vorstellung gelang es Calvin, die dem Abraham und seinen Nachkommen zuteilgewordene Verheißung und das in Christus offenbarte Evangelium als Einheit zu fassen (Opitz, 202-205), da sich die Inspiration auf den gesamten Inhalt der Schrift erstrecke. Gegenüber der historischen Kritik eines Erasmus oder der theologischen Überzeugung → Luthers, der nur jene Schriften gelten lassen wollte, „die Christum treiben“, hielt Calvin somit an der Gleichwertigkeit aller kanonischen Bücher der Bibel fest. Da für ihn alle diese kanonischen Schriften inspiriert seien, könnten die Texte des Alten wie des Neuen Testamentes gleichermaßen den Anspruch erheben, als Wort Gottes an sein Volk zu gelten.
3. Formen der Schriftauslegung Calvins
Trotz Calvins Überzeugung, dass die Schrift inspiriert sei, vertrat er jedoch in seiner Exegese keinesfalls die These von einer biblischen Verbalinspiration. Die göttliche Unfehlbarkeit gelte allein für den Inhalt, nicht jedoch für die Form der Schrift, so Calvin. Die Schrift sei „ein Organ, durch das der Herr den Gläubigen die Erleuchtung seines Geistes zuteil werden lässt“, aber sie ist nicht mit dem Herrn identisch (Institutio I, 9,3). Mit anderen Worten: Die Verfasser der biblischen Schriften waren nach Calvins Meinung zwar bei der Abfassung der Texte vom Heiligen Geist inspiriert, diese Inspiration schloss jedoch möglichen menschlichen Irrtum in den Fragen, die die Lehre nicht betrafen, keinesfalls aus.
So war es Calvin möglich, sich auch kritisch den biblischen Texten nähern zu können. Seine Auslegung ist dialogisch angelegt, der Sinn des Textes wird argumentativ erschlossen. Dabei distanzierte sich Calvin von jeder Art der Allegorese. Der Sinn des Textes bestand ausschließlich im Literalsinn und wird durch dessen geschichtlichen, grammatischen und gattungsgeschichtlichen Kontext erhellt (Opitz, 40-44).
Auf diese Weise erscheint Calvin als Exeget, der sein in der humanistischen Bildung erworbenes Instrumentarium konsequent verwendete, auf die Anwendung der lutherischen Dialektik von Gesetz und Evangelium verzichtete, zugleich aber auch die in der damaligen Exegese weit verbreitete Allegoresierung als hermeneutisches Instrumentarium ablehnte.
Literaturverzeichnis
Literatur-Recherche Bibelwissenschaftliche Literaturdokumentation Innsbruck
Literatur-Recherche Biblische Bibliographie Lausanne
1. Lexikonartikel
Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (im Internet http://www.bautz.de/bbkl/)
Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Tübingen 1957-1965
Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
2. Werke Calvins
Unterricht in der christlichen Religion. Institutio Christianae religionis. Nach d. letzten Ausg. übersetzt und bearbeitet von Otto Weber, 5. Aufl., Neukirchen-Vluyn 1988
Ioannis Calvini opera quae supersunt omnia, hg. von Guilielmus Baum u.a., Braunschweig, 1863-1900 (Reprint, Bad Feilnbach 1990)
3. Weitere Literatur
Cottret, B., 1998, Calvin, München
Neuser, W., 1988, Die Theologie Johann Calvins, 238-271, in: Andresen, C. (Hg.), Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte, Bd. 2, Göttingen
Neuser, W., 1976, Theologie des Wortes – Schrift, Verheißung und Evangelium bei Calvin, in: ders. (Hg.), Calvinus Theologus, Neukirchen
Opitz, P., 1994, Calvins theologische Hermeneutik, Neukirchen
Spijker, W., 2001, Calvin (KIG 3, J 2), Göttingen
Wendel, F., 1968, Calvin. Ursprung und Entwicklung seiner Theologie, Neukirchen
Quelle: Andreas Mühling: Johannes Calvin im WiBiLex (März 2008) >>>
Andreas Mühling