Drei Themen standen im Mittelpunkt der Tagung: wie mit der demographischen Ausdünnung ländlicher Regionen geistlich umzugehen sei, welches Pfarrerbild auf dem Land leitend sein könne und welche kreativen Gemeindeformen möglich seien.
Um Kreativität müsse es gehen, so die Präses der EKD-Synode und Vorsitzende der Steuerungsgruppe für den Reformprozess, Katrin Göring-Eckardt, in ihrer Begrüßungsansprache. „Denn: Der Problemanalysen sind genug gewechselt, jetzt müssen Ideen folgen.“
Bereits die am Beginn der Tagung stehende Andacht eröffnete den zukünftig notwendigen Raum der Kreativität. Oberkirchenrat Thorsten Latzel entfaltete die Geschichte von Gideon (Ri 7,1-7) als Kunst „geistlich kreativer Reduktion“ - verbunden mit der Frage nach einer „Geographie der Kreativität“ in der evangelischen Kirche. Im Wechselspiel von kirchlicher und externer Perspektive vermittelten dann die Referentinnen und Referenten anregende Impulse zu den drei Themenfeldern.
Der Erlanger Alttestamentler Professor Jürgen van Oorschot verwies auf verschiedene Typen, in denen das Volk Gottes mit seiner fast durchgängigen Minderheitensituation umging und auf die kritischen Grenzen, die in diesen Konzeptionen zwischen Spielräumen neuer Realität und Realitätsverlust liegen. Susanne von Backmann, Münchner Organisationsberaterin, plädierte für einen mutigen Umgang mit dem Kleinerwerden und betonte die dem Menschen grundsätzlich eigene Neugier und Lust auf Veränderung. In Transformationsprozessen müsse man diese Entwicklungsfreude nutzen, indem eine Neuorganisation unter Beteiligung der von Veränderung betroffenen Mitarbeiter erfolge.
Der Braunschweiger Landesbischof Friedrich Weber forderte alternative Zugänge zum Pfarramt, eine Öffnung der landeskirchlichen Grenzen für eine übergreifende Stellenplanung sowie die Einrichtung von Freiräumen zur Erprobung experimenteller Gemeindeformen. Auch die aus England angereiste Pfarrerin Dagmar Winter betonte aus ökumenischer Sicht die Chancen, die aus den neben den Pfarrern neu entstehenden Laienämtern erwachsen. Zugleich sprach sie sich für eine „mixed economy church“ (Rowan Williams) aus, in der sich institutionelle Grundstrukturen mit kreativen neuen Gestaltungsformen verbinden.
Jutta Haase, Referatsleiterin aus dem brandenburgischen Landesamt für Flurneuordnung, zeigte anhand von Förderprojekten, dass eine nachhaltige Erhöhung der Lebensqualität in peripheren Räumen dort gelinge, wo in einem Projekt unterschiedlicher Interessen zusammen geführt würden. Entscheidend sei der Faktor Mensch: „Der Mensch bleibt, die Förderung endet“. Und der Greifswalder Betriebswirtschaftler Professor Steffen Fleßa fragte ausgehend von den Erfahrungen im Gesundheitsmanagement, ob die evangelische Kirche die Spielräume für Kooperation, Delegation und Substitution ausreichen nutze. Es brauche kreative, systemisch abgestimmte Formen kirchlicher Präsenz, um mit den neuen Herausforderungen in solchen ausgedünnten Regionen umzugehen.
Neben einem angeregten Erfahrungsaustausch standen vor allem drei Gedanken im Zentrum der Diskussion der Teilnehmenden: Die Kirche braucht Experimentierfelder neuer Formen. Die Attraktivität in Flächen-Pfarrämtern muss gesteigert werden. Es braucht eine theologische Ausbildung, die diese Herausforderungen realisiert und zugleich kreative Gestaltungskraft aus dem eigenen Glauben heraus entfaltet.
Thies Gundlach, Vizepräsident des Kirchenamtes des EKD dazu: „Die Landpfarrerin, der Landpfarrer der Zukunft werden kirchliche Gründergeister sein, kulturkreative Weltveränderer. Solche Menschen brauchen gestalterische Freiräume, Gemeinschaft mit anderen, kirchliche Beheimatung. Was sie nicht brauchen, sind ein allgemeines Bedenkentragen und Stereotype.“
Katrin Göring-Eckardt betonte, dass sich die kirchlichen Sammlungsformen in den ausgedünnten ländlichen Räumen in Zukunft nicht mehr an alten Siedlungsstrukturen und Dorfkernen orientieren dürften, sondern an Netzwerkstrukturen. „Das bedeutet ein radikales Umdenken für kirchliches Dasein. So wie die familiären, beruflichen und sozialen Lebenswelten der Menschen insgesamt sich wandelten, so wird auch evangelische Kirche vielfältiger, multilokaler sein als bisher.“
Die Texte der Tagung sollen als epd-Dokumentation veröffentlicht werden. Für das Frühjahr 2013 ist eine zweite Land-Kirchen-Konferenz geplant. Die Land-Kirchen-Konferenz wird von einem Arbeitskreis von kirchlichen Praktikern begleitet und ist ein Schwerpunkt im Reformprozess „Kirche im Aufbruch“.
Hannover, 8. Juni 2012
Pressestelle der EKD
Silke Römhild
Foto: p.man aka sea_of_silence, „Deichlandschaft in Ostfriesland“, CC-Lizenz (BY 2.0); www.piqs.de