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Nicht Leid und Elend soll euer Los sein, sondern Freiheit und Leben in Fülle
Wort zum Sonntag vom 5.4.2020
Etwas Unsägliches lässt sich benennen, etwas Unsagbares nicht. Geschieht etwas Unsägliches – Katastrophen oder Bösartigkeiten – dann mag uns das die Sprache verschlagen, aber für das Unsagbare haben wir nicht mal eine Sprache. Wir behelfen uns deshalb mit Bildern. Die Bibel ist voll davon.
Da ist z.B Mose. Er sieht das unsägliche Leid der drangsalierten Hebräer in Ägypten. Hilflos erschlägt er einen Aufseher und muss fliehen. In der Fremde beginnt er ein neues Leben, denkt er.
Eines Tages treffen wir ihn in der Wüste als Hirt der Herde seines Schwiegervaters. Da sieht er plötzlich einen brennenden aber nicht verbrennenden Dornbusch. Ein Wunder? Realisten suchen nach Erklärungen: optische Täuschung, Elmsfeuer. Nein, kein Wunder, sondern Bild für das Unsagbare. Eine Begegnung bahnt sich an, die Moses Leben verändern wird. Dafür sucht der Autor der Geschichte ein Bild. Die Erkenntnis Gottes, der Mose entgegengeht, wird im Feuer geboren. Aber warum verbrennt der Busch nicht? Wo Brände wüten, wo Unsägliches geschieht, bleibt nur Asche zurück. Doch da, wo das Feuer zum Bild für das Unsagbare wird, ist nichts Zerstörerisches an ihm, nur Licht, das einlädt und nicht vertreibt.
Mose kommt und hört eine Stimme: dies hier ist heiliger Ort. Hier werde ich skeptisch. Das Unsagbare soll verortet werden? Für ‚heilig‘ erklärte Orte haben in der Regel Zugangsbeschränkungen und Verhaltensregeln, deren Nichtbefolgung tödlich enden kann. Eine Welt ohne heilige Orte, die man einander neidet, sich gegenseitig streitig macht oder die man wechselseitig als scheinheilig apostrophiert, ist mir lieber. Wenn man das Unsagbare dingfest machen will, geschieht nicht selten das Unsägliche.
Das Unsagbare bekommt ein Bild, eins von vielen in der Bibel: Feuer, Burg, Fels, Mutter, Hirte… Und aus dem Bild spricht eine Stimme: ich habe gesehen und gehört das Elend meines Volkes. Das Unsagbare ist weder unnahbar noch unwissend; es hört und sieht und reagiert. Zu Mose spricht die Stimme: nicht Leid und Elend soll euer Los sein, sondern Freiheit und Leben in Fülle. Führe mein Volk diesen Weg. Und weil Mose nun wissen will, wer ihn da beauftragt, gibt die Geschichte dem Unsagbaren einen Namen: vier Buchstaben, das Tetragramm. Kein Geheimnis, aber weil es der Unsagbare ist und weil er heilig ist sprechen unsere jüdischen Geschwister diesen Namen nicht aus. In der deutschen Bibel steht dort: HERR.
Namen haben im Hebräischen eine Bedeutung. Was bedeutet das Tetragramm? Es bezeichnet etwas, was Verlässlichkeit und Offenheit vereint: ich bin, ich werde sein. Es ist eine Zusage, eine Verheißung, aber keine Definition. Der Unsagbare lässt sich nicht einfangen in Lehrgebäuden oder Dogmen. Er ist und er wird sein. Er begleitet uns durch das Leben und die Zeit. Weil unsere Wege verschieden sind, sind es auch unsere Erfahrungen mit Gott. Ein ‚so ist Gott‘ gibt es nicht. Er ist und er wird sein auf dem Weg in die Freiheit des Lebens.
Der Unsagbare hat Mose und das Volk Israel auf dem Weg aus dem Elend in die Freiheit begleitet. Kein leichter Weg. Vierzig Jahre hat er gedauert, erzählt die Bibel. Aber auch hier wieder Symbolik. Es braucht Zeit, Unsägliches zu überwinden. Nicht jeder kommt ans Ziel; Mose stirbt vorher, aber Gott bleibt und wird sein. Seine Zusage: “ich bin mit dir auf allen deinen Wegen“, den steinigen ebenso wie den blumigen, den selbstgewählten wie den aufgenötigten. Wir können ihm unsre Freude mitteilen, unser Leid klagen, und um Hilfe bei der Suche nach dem richtigen Weg können wir ihn auch bitten. Mit dem, der mit uns ist und sein wird, können wir dem Unsäglichen im Leben ein Stück beikommen.
Klaus Vesting