455. Todestag von Michael Servet
Am 26. Oktober 1553 verurteilte der Genfer Stadtrat Servet zum Tode, am 27. Oktober wurde er als ''Ketzer'' auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Inschrift auf dem Erinnerungsmal im Genfer Stadtteil Champel, Rue Michel-Servet:
„Am 27. Oktober 1553 starb auf dem Scheiterhaufen in Champel Michel Servet aus Villeneuve d'Aragon, geboren am 29. September 1511.
Als achtungsvolle und dankbare Söhne Calvins unseres grossen Reformators,
die aber einen Fehler verurteilen, welcher der seines Jahrhunderts war,
und fest verbunden der Freiheit des Gewissens gemäss den wahren Grundsätzen der Reformation
und des Evangeliums haben wir dieses Sühnemal errichtet am 27. Oktober 1903“
Das Urteil Johannes Calvins, „Ketzer“ müssten mit harten Mitteln, gegebenenfalls mit der Todesstrafe bekämpft werden, und sein Beitrag zur Verhaftung und Verurteilung Michael Servets wertet dieses „Erinnerungsmal“ wie auch öfters zeitgenössische wissenschaftliche Literatur zu Calvin als „Fehler“ seiner Zeit. Wie viele andere Reformatoren auch – ganz zu schweigen von der katholischen Inquisition – blieb der Reformator Genfs Gefangener des Common Sence im 16. Jahrhundert. Dieses historisch-kritische Urteil geht leichtfüßig darüber hinweg, dass auch der Gelehrte Sebastian Castellio ein Kind seiner Zeit war. Castellio, selbst einst ein Schüler Calvins, verteidigte mutig Toleranz und Religionsfreiheit und lehnte die Tötung Servets und anderer Menschen aus religiösen Gründen ab. Kurz nach Servets Verbrennung veröffentlichte Castellio seine auch gegen Calvin gerichtete Schrift „De haereticis an sint persequendi“, eine Sammlung von Zitaten gegen die Tötung von Ketzern. Ein humanistisch gebildeter Gelehrter wie Calvin hätte als „Kind seiner Zeit“ also durchaus mutig für die Freiheit des Gewissens auch der anders Gläubigen eintreten können. Er tat dies jedoch nicht, überzeugt davon, gegen die durch Ketzer drohende „Barbarei“ mit den Strafmaßnahmen der christlichen Obrigkeit vorgehen zu müssen. Das „tödliche Gift“ der Irrlehre sollte sich nicht weiter verbreiten (CO 8,477).
Den Töchtern und Söhnen des „großen Reformators“ bleibt die drängende Frage, ob die theologischen Erkenntnisse Johannes Calvins einen Funken enthalten, der die Zustimmung zur Tötung eines Gegners entzünden kann. Wer Calvin ernst nimmt, bleibt beunruhigt.
Zum Tag der Verbrennung Michael Servets am 27. Oktober 1553 erinnert reformiert-info an die „offene Wunde“ in der Geschichte der reformierten Reformation.
Mit den Worten Karl Barths:
„Calvin war hart gegen die Menschen, die sich seinen Gedanken und Plänen, die er mit der Sache Gottes identifizierte, etwas entgegenstellten. […] Man darf diese Seite seines Wesens nicht dadurch beschönigen, dass man darauf hinweist, wie liebenswürdig und feinsinnig er seinen Freunden und überhaupt Allen, an denen ihm gelegen war, begegnen konnte. Damit war einem Servet oder Bolsec oder Castellio wirklich wenig geholfen. Wohl aber ist zu sagen, dass die calvinische Härte aufs engste zusammenhängt erstens mit der geschichtlichen Situation am Ende der Reformation: Calvin gegenüber stand Ignatius von Loyola, die spanische Inquisition und das Konzil von Trient. In einer belagerten Festung pflegt man mit Recht oder Unrecht mit Verdächtigen nicht viele Umstände zu machen; […]
Sie hängt zweitens, und das ist die Hauptsache, zusammen mit dem großen beseligenden oder vernichtenden Entweder-Oder, das wie ein Damoklesschwert über dem Menschen, über jedem Menschen hängt und das für ihn mit der Erkenntnis Gottes unmittelbar gegeben war, einem Gedanken, dessen kritische Wucht Calvin empfunden hat wie keiner der anderen Reformatoren […]. Ich erinnere noch einmal an den Anfang des Genfer Katechismus, wo es von dem Menschen, der Gott nicht verherrlicht in seinem Leben, ausdrücklich heißt, dass er unter das Tier herabgesunken sei. Der Mann, der über den Wert und die Bedeutung des einzelnen Menschenlebens so dachte, stand in einem Existenzkampf, dessen erstes und leidendstes Opfer wahrhaftig er selbst war, dessen Grausamkeiten er aber auch Anderen nicht ersparen zu können meinte. Es war bei Calvin kein Sich-Gehenlassen in Leidenschaft, wenn er sogar in seinen Bibelkommentaren, wo er das Heiligtum der Wahrheit angetastet fand, alsbald von Hunden und Schweinen redete. Es war vielmehr seine ruhige und wohlüberlegte Ansicht, dass Menschen, die dies taten, nicht verdienten, als Menschen angesprochen zu werden. Er hat sich einmal […] feierlich verwahrt gegen den Gedanken, als ob er aus persönlichem Hass gegen seine Gegner so verfahre, wie er es tue. […] Er meint aber – und dies hängt wieder zusammen mit der Einheit von Gotteskindschaft und Gottesknechtschaft, die bei ihm stattfindet –, sozusagen aus Gottes eigenem Zorn heraus zürnen zu dürfen und zu müssen.“
Aus: Karl Barth, Die Theologie Calvins 1922, in Verbindung mit Achim Reinstädtler hrsg. von Hans Scholl, (Karl Barth Gesamtausgabe II.23), Zürich 1993, 165-167.
Internetseiten zu Michel (Michael) Servet
Barbara Schenck
Hat Johannes Calvin den Tod Michael Servets auf dem Scheiterhaufen zu verantworten?
Die Postkarte 'Todesstrafe' als PDF
Der Streit um Michael Servet ist der bedeutendste Konflikt Calvins in Genf. Gelegentlich wird er so geschildert, dass Calvin sich mit Hilfe des Rates eines unbequemen Gegners entledigt habe und so seine Grausamkeit und Härte offenkundig werde. Das aber ist zu einfach. Deshalb wird hier der Streit etwas ausführlicher dargestellt. Von Georg Plasger
Von der "unermesslichen Macht" Calvins, dem "Finsterling" und "Monstrum" ist die Rede in Kommentaren, die sich auf die Darstellung Calvins in dem Werk Stefan Zweigs beziehen. Wenigstens ein Textbeitrag sieht die Angelegenheit etwas differenzierter - leider auf englisch. Kategorie: Verwechselung von literarischer Fiktion und historischen Tatsachen.
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