Am Ende Europas / At Europe's End

Martin Engels berichtet aus Idomeni (deutsch/englisch). Teil I

Idomeni © Martin Engels

Auf dem Weg nach Idomeni landet ein Storch auf einer der Laternenmasten, der verlassenen Autobahn, die uns von Thessaloniki nach an das kleine Dörfchen der griechisch-mazedonischen Grenze bringt. Es ist die Zeit, wo sie wieder nach Norden ziehen und Griechenland durchqueren.

Außer ihnen durchquert sonst niemand mehr zurzeit diese Strecke. Seit 20 Tagen fährt kein einziger Zug mehr über die einzige Trasse, die Griechenland mit dem Norden verbindet und Lastwagen werden von der Autobahn geführt, weil der Grenzübergang nahe Idomeni zu ist. Flüchtlinge blockieren die Strecken, so ist zu lesen und zu hören.

Bei der letzten Tankstelle vor der Grenze zeigen sich die ersten Zelte. Bunte Campingzelte, größere weiße Zelte des UNHCR stehen auf dem Rastplatz. „We will not leave until you find a solution“ haben einige auf eine Pappe geschrieben, die an einem Zelt lehnt. Auf den Standstreifen der Autobahn laufen Menschen mit schweren Taschen, andere ohne alles. Auf der Gegenfahrbahn kommt uns zwischendurch ein Taxi entgegen. Mit der Not der Menschen lässt sich viel Geld verdienen, werden wir hinterher an verschiedenen Beispielen noch erzählt bekommen.

Am Fuß von schneebedeckten Bergen liegt Idomeni. Ein kaum nennenswertes Dorf, das nun zu einem Sinnbild für das Leid von Schutzsuchenden und die verfehlte Flüchtlingspolitik Europas ist. Hunderte Zelte auf beiden Seiten der Gleise stehen kreuz und quer verteilt. Schon aus der Ferne sieht man, dass überall mitten drin Menschen Feuer machen, um zu kochen. Kinder, Jugendliche und Alte sammeln Zweige und Stämme, alles was brennbar ist.

Mitten im Lager angekommen fallen mir die unzähligen Kinder auf, die überall umherspringen. Mit strahlenden Gesichtern winken sie mir zu, sie spielen mit allem, was sie gerade finden: Mit Schottersteinen, einer Apfelkiste und einem Betonrohr, was wohl mal verbaut werden sollte. Es werden gerade Kartoffeln und Zwiebeln in Tüten ausgegeben. Hunderte stellen sich in zwei Schlangen. Es ist eng, heiß und die Menschen wollen Essen, der kleine Lastwagen ist bald leer und ich merke nur vom Dabeistehen, wie angespannt die Lage ist. In einem kleinen Container wird gekocht – jeden Tag – um zumindest einige zu versorgen. Während ich in die Küche blicke, hat sich ein kleines Mädchen in den Dreck, an die Containerwand gesetzt und isst eine rohe Kartoffel, deren Schale sie zuvor abknabbert.

Unsere Gastgeber der Griechisch Evangelischen Kirche führen uns durch das Lager. Offiziell ist das Lager der geschätzten 15.000 Menschen nicht. Ein Polizeibus sichert den letzten Meter der Gleise bis zur Grenze ab, ein Hubschrauber der Feuerwehr kreist über dem Lager, organisiert ist hier nichts. Es helfen, die die da sind. Es beeindruckt mich, wie diese kleine Kirche hier aktiv ist. Sie geben täglich tausende von Mahlzeiten aus. Einer hat ehrenamtlich ein freies Internet eingerichtet und Stromanschlüsse zur Verfügung gestellt, damit die Flüchtlinge mit Ihren Familien in Kontakt bleiben können. Fliegende Händler hatten zuvor allein für das Aufladen des Telefons fünf Euro verlangt. Auf dem Dach des Containers haben sie eine Leuchttafel angebracht, damit das UNHCR Informationen streuen kann, innen drin lagern Medikamente für die Ärzte ohne Grenzen neben Kindergummistiefel in den Größen 28/29 bis 36/37.

Die Menschen im Lager begrüßen uns freundlich. Sie wollen Ihre Geschichte erzählen und machen mir mehrfach deutlich: Ich soll gucken und zu Hause erzählen: Von der überlaufenden Dixi-Toilette, die sich ihren Weg vorbei an einem Zelt bahnt, wo gerade ein einjähriges Kind schläft, von Zuständen, die ich so in Europa nie für möglich gehalten hätte.

Mein Blick geht über das Feld, wo gerade eine Frau einen Topf in einer Wasseransammlung wäscht. Sie gehört zu den Reicheren, wird mir gesagt: Sie konnte sich einen Topf leisten. In der Ferne, vielleicht 10 Kilometer entfernt – hinter dem Grenzzaun, macht mich unser Begleiter auf das große Casino und Hotel Flamingo aufmerksam. Eine bizarre Szenerie, die wie eine Karikatur der zum Himmel schreienden Ungerechtigkeit wirkt.

Vor dem Panzer, der auf den Gleisen die Stärke des Mazedonischen Militärs demonstrieren, trocknet auf dem Stacheldrahtzahn vor ihm ein pinker Pullover der Größe 122.

Die Menschen hier sind in einer Sackgasse: Die Grenze ist zu. Die einzige offizielle Möglichkeit, via Skype einen Asylantrag zu stellen, überfordert die griechischen Behörden und offensichtlich auch manche technische Möglichkeit. Praktisch ist ihnen dieses Menschenrecht versagt.

In dieser verfahrenen Lage treffen wir zugleich optimistische Mitarbeiterinnen des UNHCR, die die Hoffnung für eine Lösung nicht aufgeben, immer wieder Kinder die spielen und mit uns Quatsch machen wollen.

Denn Gedanken, womit ich es eigentlich verdient habe in Frieden zu leben und in meinen Wohlstand zurück zu kehren, versuche ich für die Zeit im Lager von mir wegschieben aber es gelingt nicht.

Dass ein solches Flüchtlingslager, wie das in Idomeni in Europa existiert, ist ein Skandal. Dass Menschen auf der Flucht weit unter dem humanitären Mindeststandart ihre Existenz auf unserem reichen Kontinent fristen müssen, muss uns in Europa zutiefst beschämen und uns als Kirche Jesu Christi aufrütteln!


Martin Engels